Inprozess- und Freigabeprüfungen
Von Ingrid Ewering / Schon seit 2012 müssen laut Apothekenbetriebsordnung bei Individualrezepturen Inprozesskontrollen ebenso wie Freigabeprüfungen in den Herstellungsanweisungen schriftlich dokumentiert werden. Damit in der Apotheke alle auf dem aktuellen Wissensstand sind, trifft sich das Team und bespricht die Inhalte einer Fortbildung, die eine Kollegin gerade besucht hat.
Zu Beginn erinnert die PTA alle daran, dass auch eine in der Apotheke hergestellte Zubereitung wie alle anderen Arzneimittel wirksam, unbedenklich und in der Qualität einwandfrei sein muss. Um dies zu gewährleisten, sind genau definierte Herstellungsschritte sowie Inprozessprüfungen und die Prüfung des Endprodukts unumgänglich.
»Es sind aber keine analytischen Prüfungen gefordert!«, stellt sie klar und fährt fort: »Die Inprozessprüfungen muss die herstellende Person vornehmen und die Ergebnisse sorgfältig festhalten. Die Endprüfung, auch Freigabeprüfung genannt, darf nur ein Apotheker durchführen.«
Eine neu eingestellte Apothekerin ist unsicher, welche Prüfungen am Ende erforderlich sind. »Freigabeprüfungen dürfen das Arzneimittel nicht zerstören, auch nicht negativ beeinflussen, noch die Abgabemenge verringern. Deshalb sind organoleptische Prüfungen durchzuführen«, antwortet ein Kollege und zählt einige Beispiele auf. »Die bei den standardisierten NRF-Rezepturen gemachten Angaben sind problemlos auf vergleichbare Rezepturen übertragbar. Beispielsweise sollen Cremes homogen und weiß aussehen, Wollwachsalkoholsalben schwach nach Wollwachs riechen. Enthalten Rezepturen ein Lösungsmittel wie Ethanol oder Isopropanol, ist dieses mit der Nase wahrnehmbar. Wird das grenzflächenaktive Lauromacrogol 400 in Zinkoxidschüttelmixtur DAC eingearbeitet (NRF11.66.), muss die Mixtur beim Schütteln schäumen.«
Die Apothekenleiterin ergänzt: »Weiterhin ist bei der Freigabeprüfung das Herstellungsprotokoll sowie das Etikett auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu prüfen.« Mit einem Augenzwinkern in Richtung einer noch berufsunerfahrenen PTA fügt sie hinzu: »Ich betone nochmals, dass das ›ad‹ nur auf dem Rezept stehen darf. Für den Patienten muss es auf dem Etikett durch das deutsche Wort ›zu‹ ersetzt werden!« Als weiteren Service der Löwen-Apotheke informiert sie die neuen Mitarbeiterinnen: »Bei peroralen Flüssigkeiten sowie bei pädiatrischen Kapseln geben wir immer eine Kolbendosierpipette mit. Dann können die Eltern die Lösung oder Suspension dosisgenau und problemlos in die Wangentasche des kleinen Patienten geben!«
Wirkstoffeinwaage
Anhand der Rezeptur aus dem ZL-Ringversuch 2/2015 erklärt die Apothekenleiterin die erforderliche Genauigkeit der Einwaage (siehe Tabelle): »Die vom Arzt verordnete Wirkstoffmenge muss mit dem Einwaagekorrekturfaktor multipliziert werden, um Mindergehalte zu vermeiden. Aus wägetechnischen Gründen reicht es, Faktoren ≥ 1,020 zu berücksichtigen. Deshalb erhöht sich die Soll-Einwaage bei dieser Rezeptur von 125mg auf 127,5mg. Tatsächlich wurde nur 122,4mg Hydrocortison eingewogen. Die prozentuale Abweichung beträgt danach also minus 4Prozent. Um dies zu verhindern, wird ab heute in der Herstellungsvorschrift immer ein Einwiegekorridor von +/- 1 Prozent vorgegeben (siehe Kasten). Die tatsächliche Einwaage muss also innerhalb der Grenzen von 126,2 bis 128,8mg liegen; idealerweise sogar eher höher.«
Da meldet sich die neue PTA mit einer Frage: »Reicht es nicht, wenn ich das Einwiegegefäß zurückwiege?« »Leider nicht immer. In unsere Rezeptur bedeutet der Verlust von 0,0032g Hydrocortison eine Abweichung von der Soll-Einwaage um 2,51Prozent. Selbst intensives Abschaben verbesserte das Ergebnis kaum. Deshalb gilt bei uns die Regel, die Wirkstoffe mit dem Anreibemittel, zum Beispiel den mittelkettigen Triglyceriden, abzuspülen,« informiert die Apothekerin.
Notwendige prozentuale Genauigkeit nach NRF I.2.9.4.
»Wenn technisch leicht möglich, sind Wägungen bei der Arzneimittelherstellung auf 1,0Prozent genau vorzunehmen.«
Anschließend bespricht das Team das korrekte Anreiben. Zunächst wird per Augenmaß zum Wirkstoff etwa die gleiche Menge Öl gegeben. Bei Wirkstoffmengen ≥ 100mg muss die pastöse Masse fast weiß aussehen. Nach weiterer Ölzugabe wird die flüssige Suspension mit dem Pistill an der Schalenwand hochgezogen, um beim Zurückfließen auf den Boden visuell unerwünschte Agglomerate zu erkennen. Dabei sind Metallschalen vorteilhafter, weil sich weiße Klumpen besser von dem Metall abheben.
Gleichmäßigkeit
Die Apothekenleiterin bittet ihr Team, bei Verwendung eines elektrischen Rührsystems – falls möglich – halbfeste Rezepturkonzentrate mit der verordneten Grundlage zu verdünnen. Die Inprozesskontrolle auf Abwesenheit von Agglomeraten erfolgt dann mit der »Objektträgermethode« (Kasten).
Punkt 5 der DAC-Probe 12
Eine streichholzlange Menge an Zubereitung wird auf einen Objektträger aufgetragen. Ein zweiter Objektträger wird auf den ersten aufgelegt und ohne Scherbewegung so aufgedrückt, dass sich die Probe als Oval zwischen den Objektträgern verteilt. Gegen einen dunklen Hintergrund werden sichtbare Teilchen und Feststoffagglomerate im Auflicht als helle Flecken oder Punkte, gegen eine Lichtquelle als dunkle Flecken oder Punkte erkannt.
Bei dieser Prüfmethode kann das menschliche Auge Teilchengrößen ab circa 200µm erfassen. Die Apothekenleiterin betont, dass die Probe nicht ausgestrichen werden darf, und empfiehlt, die Probe an den Problemstellen des elektrischen Rührsystems wie Mischwerkzeug oder Antriebswelle zu entnehmen.
Zur Demonstration unerwünschter Agglomerate hat sie mikronisiertes Dexamethason, ein Glucocorticoid mit kleiner Korngröße und schlechter Benetzbarkeit, unsachgemäß in anionischer hydrophiler Creme DAB suspendiert. Unter dem Objektträger sind deutlich helle Flecken und Luftblasen sichtbar (siehe auch Abbildung), die bei der anschließenden Betrachtung unterm Mikroskop wie »Autoreifen« aussehen. Die Apothekerin erklärt, dass sich gerade hydrophile Cremes bei intensivem Rühren in einer offenen Schale oder bei unzureichender Entlüftung der Topitec®- oder Unguator®-Spenderdosen wie »Schlagsahne« verhalten. Dann ist mit Oxidationsprozessen zu rechnen und aufgrund der eingetragenen Luftkeime verbraucht sich das Konservierungsmittel schneller.
Temperaturmessung
Wird Salicylsäure in Ricinusöl unter Erwärmen gelöst oder Fette, Wachse oder Hartfett geschmolzen, kann die Ist-Temperatur verlustfrei mit dem Infrarot- Thermometer bestimmt werden (Kasten). Bei wasserhaltigen Systemen ist diese Messung zusätzlich hygienisch einwandfrei. Diese Prüfmethode ermöglicht auch, bei hochtourigem Mischen mit elektrischen Rührsystemen die Wärmeentwicklung zu erfassen. Denn gerade bei der Herstellung von Pasten ist die Reibungskraft so groß, dass sich Wirkstoffe wie Salicylsäure lösen und beim Abkühlen auf Raumtemperatur auskristallisieren. Zudem ist die Dokumentation der Ist-Werte und damit der Abgleich mit den Soll-Vorgaben problemlos umsetzbar, wenn wärmeempfindliche Wirkstoffe wie Metronidazol verarbeitet werden.
Punkt 9c der DAC-Probe 12
»Sind diese Infrarot-Thermometer durch Vergleichsmessungen mit geeichten Flüssigkeitsthermometern für die geplante Verwendung qualifiziert, können hinreichend genaue Ergebnisse erzielt werden.«
Zur Messung des pH-Werts wasserhaltiger flüssiger Zubereitungen wird empfohlen, diese auf fein skaliertes Indikatorpapier zu tüpfeln. »Aber bitte den Stick nicht in die fertige Lösung tauchen, sondern die Probe hygienisch einwandfrei mit einem desinfizierten Glasstab entnehmen!«, erinnert die Apothekenleiterin ihre Mitarbeiter und ergänzt, im Rezepturalltag der Löwen-Apotheke habe sich dieselbe Messung bei halbfesten Zubereitungen bewährt. Sie diene dabei lediglich zur Abschätzung, ob die Zubereitung stark sauer, neutral oder alkalisch ist. »Dabei benötigen wir eine pH-Skala, die bei etwa 3 beginnt (Salicylsäure) und bei 10 (Erythromycin) endet. Deshalb habe ich zwei Packungen gekauft«, informiert die Apothekerin.
Anschließend erläutert sie die Durchführung: Ein pH-Stäbchen wird zuerst mit entmineralisiertem Wasser befeuchtet. Sollte es sich daraufhin bereits verfärben, hat sich Kohlendioxid im Wasser gelöst und die entstandene Kohlensäure verfälscht das Ergebnis. Dann muss »frisches« Wasser eingesetzt werden. Anschließend wird eine kleine Spatelspitze der zu prüfenden Creme auf die farbigen Felder gestrichen. Lipophile Cremes sollen brechen, denn nur so ist der pH-Wert der innen liegenden Phase bestimmbar. Bereits beim Verstreichen ändern sich die Farben der Indikatorenmischungen, die zügig mit den Abbildungen der Herstellerfirma abgeglichen werden. Mit dieser pH-Prüfung lässt sich beispielsweise schnell eine Verwechslung von Basiscreme DAC (pH-Wert 5bis6) mit hydrophober Basiscreme DAC (pH-Wert 4,5bis5,5) feststellen.
Kapselfüllmittel
Die neue PTA hat an ihrem früheren Arbeitsplatz sehr viel Erfahrung in der Kapselproduktion und der Verwendung der Stammzubereitung (NRF S.38.) gesammelt. Sie informiert ihre neuen Kollegen, dass auch Pulvermischungen visuell geprüft werden müssen: Die Mischung muss gleichmäßig weiß aussehen und praktisch geruchlos sein. Plötzlich steht sie auf und füllt eine Metallschale mit Kapselfüllmittel, das sie zweimal für 30Sekunden verrührt. Zum Erstaunen der Anwesenden klopft sie die Schale vorsichtig auf die Tischplatte, bewegt sie hin und her und erklärt, bei leichter Erschütterung des Pulvers dürften keine größeren Agglomerate als 1mm entstehen. »Da ich kein Lineal anlegen kann, helfen mir optische Vergleiche weiter. So hat Mohnsamen in etwa die Korngröße von 1mm«, erklärt sie. Staunend vergleichen die Anwesenden die Mohnsamen im kleinen Marmeladenglas mit der Pulvermischung. /
Rezeptur-Videos
Rezepturprobleme? PTA-Forum hilft in kurzen, aber sehr informativen Videos auf YouTube weiter – von der Herstellung von Kapseln oder Gels bis hin zum richtigen Wiegen oder wie man Inkompatibilitäten vermeidet.
→ zu den Rezeptur-Helfern auf Video
- Außerdem in dieser Ausgabe...
Plausibilitätsprüfung Die richtigen Stabilisatoren finden | Plausibilitätsprüfung Rezeptur mit mehreren Wirkstoffen und Grundlagen | Die Reihenfolge macht’s Lidocain-Gel mit Menthol | Prüfung der Plausibilität Fertigprodukt in der Verordnung | Propranolol-Gel Den richtigen Gelbildner wählen | Betamethason und Polidocanol Den pH-Bereich prüfen | Mehr: Rezeptur leicht gemacht |
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